Kanadisches Juwel

Emilie-Claire Barlow - The Very Thought Of You

Publiziert am 01. Februar 2016 - Christian Hunziker

Kanadische Jazzgrössen? Wir alle kennen Oscar Peterson, Diana Krall und Michael Bublé. Doch gilt es viele mehr zu entdecken. Ab und zu stösst man auf Perlen oder gar ein Juwel wie Emilie-Claire Barlow.

Nach den eher traurigen, besinnlichen Klängen von Ben Williams brauchte ich etwas Aufstellendes, Leichtes, Swingendes mit einem Schuss Romantik. Was besser, als ein paar Classics aus dem American Songbook, interpretiert von Emilie-Claire Barlow.

Das heute vorgestellte Album ist zwar nicht nagelneu, doch offenbart es das Stimmtimbre und die Ausdrucksmöglichkeiten von Frau Barlow für mich am eindrücklichsten, es ist sozusagen der Einstieg: Wem «The Very Thought of You» gefällt, der wird auch an den meisten übrigen Alben von Emilie-Claire Barlow Gefallen finden.

Gesangsstimmen, ob weiblich oder männlich, sprechen an oder eben nicht. Schon in den ersten Minuten des Titelsongs wird Klarheit geschaffen, denn Emilie-Claire singt das Intro ohne jegliche Begleitung, einfach so. Natürlich ist diese Liebesansage zuckersüss - möglicherweise zu wenig jazzy für einige. Doch wer im folgenden «Almost like being in Love» nicht zumindest mit einem Fuss wippt, gehört höchstwahrscheinlich nicht zur selben Musikliebhabergruppe wie ich - sorry. Hier beweist die Barlow, dass sie nicht nur swingen, sondern auch Be-Bop Licks intonieren kann.

Nach dem leichfüssig-lockeren Bossa Nova «O Pato» resp. «The duck», in dem Frau Barlow ihre Weltoffenheit mit (so liess ich mir sagen) nahezu akzentfreier brasilianisch-portugiesischer Aussprache präsentiert, folgt eine französische Version von «Dream a little Dream of Me»: «Les yeux ouverts» – und dies ist nur der Anfang des vielseitigen, zwölf Songs umfassenden Albums, von dem man hier einen ersten Eindruck gewinnen kann.

Das gesamte Album ist eine gut ausbalancierte Mischung von glaubwürdig vorgetragenen Lovesongs und swingenden Classics mit einem Schuss Bossa Nova. Dass ich dazwischen sogar noch den Gassenhauer «C’est si bon» mit einem Schmunzeln geniessen mochte, überraschte mich selbst, gehört dieses Lied doch eher zur Kategorie «abgedroschen».

In allen Arrangements lässt Emilie-Claire ihren ausgezeichneten Mitmusikern genügend Raum, sich in superben Soli zu präsentieren und ihre persönliche Note(n) beizusteuern. Es ist viel mehr als eine anonyme Gruppe von Studiomusikern, die ihren Job erledigt.

Auch klanglich kann «The very thought of you» mit den besten Produktionen problemlos mithalten. Ich hatte mir das Album vor ein paar Jahren als CD angeschafft und war schon damals begeistert. Der 2xHD Download ist jedoch nochmals um einiges differenzierter, klarer, strahlt eine natürliche Wärme aus und liess mich die gesamte Musik neu erleben.

2011 veröffentlichte Premium Records diese CD. Der Titel sagt alles.

Dass Ost-KanadierInnen mehrsprachig aufwachsen, ist nichts Aussergewöhnliches. Emilie-Claire Barlow stammt aus Toronto. Die Tochter von Berufsmusikern wuchs sozusagen in Aufnahmestudios auf und hatte mit sieben ihre ersten Gesangs- und Voice-over-jobs in Radio- und Fernsehwerbung. Sie konzentrierte sich jedoch nicht nur auf ihre Stimmausbildung, sondern erlernte mehrere Instrumente (Klavier, Klarinette, Cello, Geige) und studierte Musiktheorie und Arrangement.

So erstaunt es nicht, dass sämtliche Arrangements von «The Very Thought Of You» aus ihrer Feder stammen. Auch hat sie all ihre (bisher) elf Alben auf ihrem eigenen Label produziert.

Ob dies der Grund ist, dass Emilie-Claire Barlow - zumindest in Europa - bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde, sei dahingestellt. Dass sie die Herzen und Ohren der Japaner bereits eroberte, beweist ihr 2014 erschienenes Album «Live in Tokyo», das ebenfalls in Highres (Flac 88.2 und DSD 64) erhältlich ist (https://www.highresaudio.com/artist.php?abid=266852).

Onlinelink:
http://www.avguide.ch/musikrezension/kanadisches-juwel-emilie-claire-barlow-the-very-thought-of-you