Fortschritt mit Abstrichen?

Es ist ja schon seltsam, aber in diversen technischen Entwicklungen musste ich in den letzten Jahren Rückschritte akzeptieren: Neue Technologien waren zwar in gewissen Bereichen (zum Beispiel dem Handling, wie es so schön heisst) den alten haushoch überlegen, die Qualität des Endprodukts jedoch eindeutig schlechter.

Beispiel Video

Bevor Videokameras für den Durchschnittsverbraucher existierten, gab es Super8. Diese Filmkameras waren in diversen Ausführungen und Preislagen zu haben, die in etwa den Preisen moderner Videocamcorders entsprachen. Aber noch heute, mindestens fünf Systeme und 20 (Entwicklungs-)Generationen weiter, liefern digitale Bilder sogar eines DV-Camcorders nicht dieselbe Qualität, die Super8-Filme boten. Ich besitze noch s/w 8mm-Filme, die mein Grossvater in den 20er bis 40er-Jahren mit einer Kodak Kamera mit Federlaufwerk (jawohl, zum Aufziehen, ohne Batterien!) gedreht hat, die man immer noch anschauen kann.

Einen Super8-Film konnte ich mit einem lichtstarken Projektor problemlos auf eine Leinwand von 6 x 4 m projizieren, ohne dass die Bildqualität unansehnlich wurde. Versuchen Sie dies mal mit einem Videobild!

Beispiel digitale Fotografie

Es ist schon toll, wenn man ein Bild sofort anschauen und wieder löschen oder im Computer nachbearbeiten kann. Aber vergleichen Sie mal die Qualität einer Papiervergrösserung mit derjenigen eines Computerausdrucks, wenn beide mit einer etwa gleich teuren Kamera aufgenommen wurden. Gerade in der Tagespresse sieht man immer mehr Bilder in einer Qualität, die man vor einigen Jahren wegen der schlechten Auflösung nicht akzeptiert hätte. Haben Sie schon mal versucht, von Ihren digitalen Bildern ein Poster herzustellen? Und wissen sie, wie gross das Speichermedium sein müsste, das verlustfrei sämtliche Informationen eines einzigen Kleinbild-Dias aufnehmen kann? Ich auch nicht, aber es muss gigantisch sein.Technologischer Fortschritt?

Und auch der Bildschirm täuscht uns etwas vor: Auf einem Monitor sehen wir ein Bild in einer Auflösung von 72 dpi, während für den Druck 300 dpi (= dots per inch = Punkte pro 2,5 cm) die Regel sind. Was die vierfache Auflösung ausmacht, können Sie anhand des Beispiels (72 dpi oben gegenüber sogar noch interpolierten 18 dpi unten) vergleichen.

Beispiel Musik

CD-Qualität! Lange Zeit ein Schlagwort für höchste Wiedergabetreue. Highest Fidelity! Und heute? Am Boden zerstört, da wir nun erfahren durften, dass auch die CD-Qualität nur ein Kompromiss ist.

Ich gehörte nie zu denjenigen, die die CD als minderwertig betrachteten, mochte mich nicht in die Highend-Diskussionen einmischen, die die Überlegenheit der LP propagierten. Ich gehörte also zu denjenigen, für die die Annehmlichkeiten und die weniger grosse Verletzbarkeit der Silberscheibe (ha ha) gegenüber der LP wichtiger waren, als das klangliche Optimum - und dies wird mir erst heute so richtig klar, nachdem die Industrie (aus DVD-verkaufstechnischen Überlegungen?) zugibt, dass eine Auflösung von 16 Bit und eine Samplingfrequenz von 44,1 MHz nicht ausreichen, um das volle Spektrum des (analogen) Hörbereichs abzudecken. Theoretisch gesehen reichen aber auch 24 Bit und 96 MHz nicht aus, sind schon wieder ein Kompromiss ...

Sicher: Gerade bei der Musikwiedergabe gab und gibt es noch andere Argumente, als die beschränkte Feinauflösung der CD. Aber auch bei den digitalisierten Bildern könnte man das immer wiederkehrende Argument einbringen: "Für Konsumenten-Anwendungen reicht die Qualität absolut aus". Doch was sind "Konsumenten-Anwendungen"? Und wieso müssen wir meist Qualitätsabstriche machen, bevor eine neue Technologie ausgereift genug ist?

Kennen Sie weitere Beispiele ähnlicher Art? Hatten Sie auch schon das Gefühl, dass eine neue Technologie qualitativ eher Rück- als Fortschritt bedeutet? Bitte teilen Sie uns Ihre Erfahrungen und Gedanken mit. Sie sind nur ein Klick von einer E-Mail entfernt: Kontakt

Christian Hunziker

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