Piraten und MP3

Christian Hunziker
Die Flut von Artikeln in professionellen Magazinen, die MP3, die zerfallende, nicht einmal mehr CD-Standards erreichende Audioqualität und die mit MP3 verbundene Piraterie verdammen, nimmt kein Ende! Nun ist es Zeit, meine eigenen Gedanken darüber zu formulieren.Die neuen Musikpiraten der MP3-Generation

Ich bin auch Musiker, habe auch komponiert und tue dies immer noch; und auch ich möchte gerne von den Früchten meiner Arbeit profitieren können, lies: ab und zu einen Check von der Suisa (oder einer anderen Urheberrechts-Verwaltungsorganisationen) erhalten. Auch ich finde es mühsam, dass dank MP3 und dem Internet jeglicher Urheber-Rechtsschutz zur Farce wird.

Doch seien wir realistisch: Wie viele resp. wenige Künstler (Komponisten, Texter, Musiker, Interpretinnen usw.) haben denn wirklich profitiert vom riesigen Kuchen, den die Musikindustrie regelmässig zu verteilen hat? Und wieviele der grössten Profiteure haben mit der Musik gar nichts am Hut, können weder ein Lied nachträllern noch eine Partitur lesen, sackten jedoch als "Executive Producer" oder simpler Manager die grössten Gagen ein? Da ist es Business, und der Businessman macht die Kohlen. Natürlich gibt es ein paar wenige "Lottokönige" von Stars der Musikbranche, die es geschafft haben, die nicht (mehr) als Industriesklaven arbeiten müssen, aber eben – ein paar wenige.

Und nun müssen die Geschäftsherren um ihre fetten Gewinne bangen, klagen plötzlich, dass sie nun keine neuen Talente mehr fördern könnten, die sie mit den Erträgen der etablierten Stars finanzierten. Ich kenne diverse Produzenten, doch darunter befindet sich keiner, der ohne die feste Überzeugung, dass aus einer Sängerin oder einer neuen Gruppe Kapital zu schlagen sei, auch nur einen Franken resp. eine Mark oder gar einen Dollar investiert hätte.

Dank MP3 kann man sich nun Bands und Musikerinnen anhören, die uns sonst vorenthalten würden, da die Plattenfirmen in ihnen keine potenziellen Geldmaschinen erkennen konnten. Dank MP3 kann jeder seine Musik veröffentlichen, ohne sich dafür einem Business-Giganten verpflichten zu müssen.

Sicher: Es gibt enorm viel Schrott im MP3-Internet, aber es gibt eben auch überraschend viel Neues, Gutes. Und was mir nicht passt, muss ich mir ja nicht anhören.

Und die Piraterie? Die gab's schon immer. Schon als ich noch zur Schule ging, kopierte ich für mich LPs von Kollegen auf Tonband. Und all die Kassetten, die wir unter einander austauschten … war das denn keine Piraterie? Und wenn Sie nun einwenden wollen, dass dies nur im kleinen Rahmen geschah und die MP3-Piraterie weltweit zu Millionenverlusten der Industrie führe, muss ich entgegnen, dass damals die noch zahlreichen Plattenfirmen auch viel kleiner waren, keine globalen Musikunternehmungen, auf Lokales spezialisiert. Dank MTV und all den anderen Trendsettern sehen die Hitparaden weltweit identisch aus, werden die Stars global vermarktet – deshalb ist die MP3-Piraterie eben auch global und somit unüberschaubar gross geworden.

Und: Erinnern Sie sich noch, wieso das DAT (Digital Audio Tape)so lange nicht auf den Markt kam, obschon die Lager mit zur Auslieferung bereiten Geräten voll waren? Zuerst musste eine Kopiersperre erfunden werden, weil die Musikindustrie in Gedanken schon ihre fetten Gewinne dahinschwinden sah. Und genau dasselbe geschah und geschieht mit anderen innovativen Technologien (vergl. DVD und Ländercode).

Ich rufe beileibe nicht zur Piraterie auf, aber die Argumente, die gegen MP3 ins Feld geführt werden, sind mehr als fadenscheinig, das Gezeter völlig übertrieben. Wir alle mussten und müssen uns der Entwicklung in der Welt, der sogenannten Globalisierung anpassen, mussten Haare lassen, damit sich andere "gesundstossen" konnten. Auch die Musikindustrie muss sich mit Veränderungen auseinandersetzen – und MP3 sowie das Internet sind erst der Anfang!