Kaufen statt Können?

Kritische und leicht satirische, dafür enorm persönliche Gedanken von Christian Martin über mangelnde Kreativität und daraus resultierende, teure Ersatzbefriedigungen.amiga2000

Nun ist es schon etliche Jährchen her, dass ich als Berufsmusiker das Handtuch geworfen habe....Irgendwann hört man ja zum ersten Mal die zarte Frage nach dem Alter....also war als typische Altmusikerverwendung Studiotätigkeit angesagt.

Computer und Sequenzer

Als erster Schritt war ein MIDIsequenzer gewünscht....MIDI war damals Neuland, Computer detto (so lang ist's schon her?) Also wurde hurtig auf Rat meines (damals wie heute leicht missratenen) Sohnes, klassisches Kind des beginnenden Compizeitalters, die „beste" Maschine gekauft: Der Commodore Amiga war logo eine Super-, aber die falsche Maschine. Die Musiksoftware war schlichtweg unbrauchbar; das tiefe Rot des gequälten Monitors ist mir heute noch gut im Gedächtnis. Somit war der Beginn der neuen Ära für mich ein Fiasco.

Aber stur und zäh wie ich nunmal bin, kam nach einem Jahr Amigafrust die Erleuchtung: Ein Atari St musste her! Unnötig zu sagen, dass ausser einem fundierten Wissen über nicht funktionierende Abläufe keine greifbaren Resultate aus jener heroischen Zeit für die Nachwelt erhalten geblieben sind.

Mit dem Atari ist auch CH in mein Leben getreten, und der Notator. Jetzt hätte ich eigentlich loslegen können, wenn nicht dieses blöde patternorientierte Arbeiten gewesen wäre, etwas das meinem so ganz vom Live-Spielen geprägten Musizieren jeglichen Wuppdich nahm.

Der beste Synthesizer?

k1Gleichzeitig gab es in dieser Periode eine unglaublich rasante Entwicklung auf dem musikelektronischen Sektor, und als ehemaliger Profi musste ich natürlich immer auf dem letzten Stand der Geräte sein. Das Ergebnis: Ich war zwar ("Workshop" selig sei Dank) immer top ausgerüstet. Aber kaum hatte ich ein Manual aus der Hand gelegt, wurde z.B. der 12bit Kawai K1 Synthie durch das wesentlich bessere Korg T3 ersetzt, von den zahlreichen Zwischenschmankerln ganz zu schweigen (Sachen, die man einfach haben musste).

Da ich immer noch keine Freude am Songschnipsel zusammenfügen hatte, war das ewige Lernen neuer teuerer Anschaffungen eine willkommene Ausrede meiner Göttergattin gegenüber, wo endliche greifbare Ergebnisse meiner musikalischen Tätigkeit bleiben würden. Die Gute war der Ansicht, so wie zu den lukrativen Bühnenzeiten, dass die teuren Anschaffungen sich irgendwann in Bares verwandeln würden.

Nebenbei war logo der Beginn des Videozeitalters auch ein finanzieller Fallstrick ohnegleichen: VHS-Schneiden und Nachvertonen war aber qualitativ ab der ersten Kopie unansehnlich, für die Fähigkeit auf Schnitt zu Drehen fehlte mir die Begabung, ausserdem war ich als Kameramann zu quirlig und nervös. Statt die Sache zu üben (wozu ist man schliesslich ein Genie!), habe ich zu diesem Zeitpunkt beschlossen, bessere Geräte (SuperVHS) abzuwarten, um dann einfach verwackelte Abschnitte rausschneiden zu können. Weiters hätte ich sowieso keine Zeit für Video gehabt, da die neu aufkommenden Portastudios meine Gier erweckt hatten. Und nicht zu vergessen: Schliesslich vertrödelt ein begnadeter Musiker nicht seine wertvolle Zeit mit irgendwelchen Filmchen.R8

Kassette ade, Schnürsenkel ahoi!

Das Kassettengerät war eine tolle Sache, viel musikalischer als der blöde Sequenzer. Allerdings waren 4 Spuren mehr als mickrig, insbesonders da man ja noch eine Synchronspur für den ungeliebten Compi mitlaufen lassen musste. Immerhin kann ich stolz im Rückblick sagen, dass diese Kombination nach Stunden des Tüftelns und Testens einwandfrei lauffähig und verhältnismässig stabil war. Leider gibt es auch aus dieser wilden Phase keine befriedigenden Ergebnisse: Die Versuche waren zwar brauchbar, aber ein grosser Künstler wie ich hat nach all den Bühnenjahren auch einen gewissen Qualitätsanspruch.

Gott sei Dank hat die Industrie diesen Bedarf erkannt, der "Workshop" mit anmachigen Tests zusätzlich animiert und mit der Fostex R8 samt A20 als Mastermaschine samt Synchroperipherie war ich wieder einmal die knusprige Beute des Fortschritts.

Die damalige C-Lab hat auch noch ein Schäufelchen nachgelegt und mit dem „Steady-eye"-Gerät meine (zwischenzeitlich S-VHS) Videoausrüstung synchronisierbar zum Notator gemacht. Einziger kleiner Schönheitsfehler: Ich konnte die Synchrospur nicht selbst auf die Bänder aufspielen und das ganze System lief spätestens nach 2 Minuten völlig asynchron. Der Frust war gross, der Geldaufwand riesig, der künstlerische Schaden aber minimal: Auch S-VHS Aufnahmen wirken verwackelt irgendwie amateurhaft. Sowas lässt ein alter Profi wie ich nicht rausgehen.

Analog pfui, digital ist hier!

Immerhin: Vom Videofrust abgesehen ist ein 8-Spur-Band abgemischt worden, mit Coverversionen: Ich and the Egoists. Alle Spuren im Alleingang. Allerdings werden Sie, lieber Leser, bereits erahnen, dass das A20 als Master natürlich völlig unbrauchbar war. Schliesslich war immer höchste machbare Qualität mein Ziel: Die Abmischung von der R8 Schnürsenkelmaschine erfolgte natürlich zeitgemäss aufDA-30 mein brandneues DA30 DAT-Gerät (wohin denn sonst!) Ergebnis: Immerhin 25 Minuten persönliches „Gefühlsheu" sprich Andenken.

Allerdings: Tempora mutantur. Sicher gehen Sie mit mir einig, dass ein Verweilen als Rückschritt zu werten, ein Produkt aus der Schnürsenkelära geradezu ein Sakrileg wäre.

Logisch: Der nächste Schritt

Noch nie war ich dem Ziel so nahe: Mit dem Yamaha CBX-D5 und Cubase Audio 1.0 war ich endlich in der Lage, völlig digital meine Genialität unter das Volk zu bringen. Schliesslich hatte ich ja 4-Spur-Erfahrung und konnte jetzt verlustfrei zusammenmischen. Abgesehen von kleinen Schönheitsfehlern mit Yamahas Schweizer Vertrieb (obwohl von dort bezogen des Grauimports beschuldigt, daher kein Support) hatte die digitale Premiere noch einen weiteren gravierenden Nachteil: Die Sache klappte zwar reibungslos unter Windows 3.1, aber Win95 war angesagt, und unter dem 32-bittigen Betriebssystem wurde das CBX-D5 nicht mehr auf dem SCSI-Bus gefunden. Neben einer gigantischen Telefonrechnung mit Yamaha in Rellingen (und, nebenbei bemerkt, sehr netten persönlichen Kontakten zu Steinberg Deutschland) brauche ich wohl nicht zu betonen, dass dank der Windows-typischen Eigenschaft, alle Daten mit ins (jetzt blaue) Bildschirmnirwana mitzunehmen, keinerlei Aufzeichnungen meines damaligen Lebensabschnittes existieren.

Wieder die Computerfrage

Da dieser Artikel ohnehin immer mehr zur Biografie ausartet: Hier ungefähr wäre die Trennung der Wege der beiden Christiane anzuzeigen: Während CH, damals als Redaktor weitgehend unabhängig, problemlos dem von C-Lab ultimativ geforderten Wechsel vom sterbenden Atari zum Mac folgen konnte, war CM, ohnehin ein Revoluzzer, gezwungen (aus Kompatibilitätsgründen bedingt durch den widerlichen Zwang zum Gelderwerb durch konventionelle, nicht genial künstlerische Arbeit) auf der Bill-Gates-Linie zu bleiben, womit ein langjähriger Glaubenskrieg ausgelöst wurde. Hier muss ich betonen, dass ich nie der Ansicht war, das bessere System zu besitzen, nur unter den vorhandenen schlechten Betriebssystemen das im Alltag kompatiblere.

PCmmmPC oder Mac? Das ist hier die Frage! mmm iMac

Immerhin ein bedeutendes Zwischenresume: Aufgrund der gewaltigen Umschichtungen der Gesamtlage ist doch wohl klar, dass keinerlei Aufnahmen möglich waren, oder?

Even a blind chicken sometimes finds a piece of corn. So falsch war meine zwangsweise Wahl von Windows doch nicht! Siehe da: Auf einmal war ich auf der Sonnenseite, der Windows PC zur Musikmaschine mutiert. Leider war ich aus reiner Neugier zwischenzeitlich wieder mal ein wenig blöd: Schliesslich will man ja das Beste vom Besten! Ein Superhirn wie ich kann schliesslich beides: Genau im Moment, als Windows im Überholen war, habe ich mir einen Mac gekauft, aus Angst, das Beste versäumt zu haben, und weil ich mir unterdessen eine digitale Videokamera angeschafft hatte. Mit dem DV-Camcorder und dem Mac werde ich nun in der Lage sein, endlich perfekte Videos zu machen, denn jetzt besitzt der alte Perfektionist schlechthin alles.

Leider sind noch keinerlei Ergebnisse oder Produkte vorzuweisen: Bevor ich das perfekte Ergebnis vorlegen kann, muss ich erst das perfekte Produktionsmittel evaluieren. Und das braucht logischerweise Zeit.

Noch mehr Digitales

Mit der Anschaffung eines Digitalmixers, eines digitalen 8-Spurrekorders sowie Compis mit GigaHz-Prozessoren sowie GigaRAMs bin ich jetzt auf der Überholspur. Leider sind meine (nun digitalen) Videos immer noch verwackelt, aber die Anschaffung eines Macs mit DVD-Rekorder sollte auch dieses Probleme lösen können.

Da wäre nur noch ein kleines Problemchen: Wenn ich am Klavier sitze, wieso fällt mir so gar nichts ein! Könnte die Möglichkeit bestehen, dass all meine Investitionen nur den einen Sinn gehabt haben, mir selbst nicht einzugestehen, dass ich eine kreativ-künstlerische Niete bin?

Bei aller Bescheidenheit: Das kann nicht sein. Was mir einfach gefehlt hat, ist ein Sampler. Jetzt habe ich einen. Und gegen die verwackelten Videobilder habe ich mir ein Stativ gekauft. In Kürze wird man also von mir hören und sehen …

CM, nach einem (kurzen) Moment des Zweifels nie geahnte Höhen erklimmend.

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