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Abzocker

AbzockerLetzthin wird immer wieder (und immer mehr) über Abzocker geschrieben, gesprochen und ausführlich diskutiert. Oft geht es dabei um Banken und andere Institutionen, die uns unser Geld abluchsen, sie es durch unverhältnismässig scheinende Spesen oder nur im Kleingedruckten erspähbare Tarife, oder durch uns Steuerzahler finanzierte Boni, Entschuldigung «variable Lohnanteile».

Doch es gibt auch die freiwillige Abzocke (bei der mir immer wieder einer der beliebtesten Sprüche meines Freundes in den Sinn kommt: «Die Leute sind gar nicht so dumm wie man immer meint ... sie sind noch viel dümmer!») Darunter fallen zum Beispiel die diversen Fernsehabzockereien, an denen sich viele von uns regelmässig beteiligen.

Ich meine damit die vielen «Abstimmungen» und «Wettbewerbe» im Fernsehen, die seit einiger Zeit grassieren und sich wie Unkraut verbreiten. Und eben beginnt wieder eine solche Abzockerserie, bei der sich wiederum hunderttausende freiwillig und mit Begeisterung abzocken lassen … in der Schweiz heisst die Sendung «Music Star», in England «The X Factor» und in den USA «American Idol» (natürlich gibt’s in Deutschland den Superstar und in Austria auch was vergleichbares, das ich jedoch noch nie zu Gesicht bekam).

Der «Trick»? Rufen Sie die Nummer xxx an. Mit der Endziffer yz geben Sie Ihrem Favoriten Ihre Stimme. Ein Anruf kostet Sie nur xx Rappen/Cent/Pence. (Dasselbe funktioniert natürlich auch mit SMS, ist jedoch für den Organisator etwas weniger effizient.)

Das Resultat? Allein im Final des letztjährigen «X-Factors» stimmten über 13 Millionen Fans per Telefon für Ihren Kandidaten, was allein der TV Station, resp. dem Organisator rund 6 Millionen Franken (umgerechnet und gerundet) in die Kasse gespült haben dürfte. Noch etwas mehr verdienten dabei die Telefonprovider.

Doch es sind nicht nur die sogenannten Talentförderprogramme, die sich mit der «Telefonfreudigkeit» der Zuschauer finanzieren. Auch ganz harmlose Spielprogramme wie «5 gegen 5» dürften sich grösstenteils dank dem Zuschauer-«Wettbewerb» selbst finanzieren: Die richtige Wahl zwischen den zwei möglichen Antworten ist dermassen klar (weil so dumm), dass männiglich das Gefühl hat, die richtige zu kennen und deshalb - trotz verschwindend kleiner Gewinnchancen - zum Hörer oder Handy greift. OK, Lotterien sind ja auch seit Jahrzehnten (falls nicht Jahrhunderten) erfolgreich, trotz dem Wissen um die minimalsten Gewinnchancen.

Den Vogel abgeschossen - und mich zu diesen Kurzgedanken animiert - hat nun die eben abgeschlossene Sendereihe von BBC mit dem sinnigen Titel «Your country needs you»: Komponist Andrew Lloyd Webber hat sich (wie unlängst in der Schweiz DJ Bobo) entschlossen, sein Land aus der Eurosong Misere herauszuführen. Dazu überzeugte er die BBC, reiste nach Moskau (traf Putin) und machte weitere Publicity Stunts. Zudem wählte er in einem Vorcasting sechs «Acts», von denen der Sieger/die Siegerin seinen eigens für Moskau komponierten Song am Eurovision Song Contest interpretieren dürfe. Doch WER von den sechs dies sein soll, wurde von den Briten telefonisch in fünf Sendungen bestimmt.

BBC TV News

Am 31. Januar war das Finale - und nun wissen wir, dass die Sängerin Jade den Song «My Time» in Moskau singen wird. Andrew Lloyd Webber’s Ziel für England ist ein Platz unter den ersten 10 - und nicht mehr der letzte Platz wie 2008.

Positiv: Baron Lloyd-Webber (jawohl, hier MIT Bindestrich) stiftet all seine Royalties aus diesem Song bedürftigen Künstlern.

Schlussstrich: Ich dachte immer, dass wir mit den doch recht happigen Fernseh- und Radiogebühren unseren Teil zur Finanzierung der Programme beisteuern würden. Doch anscheinend haben auch «seriöse» resp. staatliche TV-Stationen gemerkt, wie man u.a. mit Musikfans zusätzliche Millionen in die Kasse kriegen kann.

Und noch was: Wer garantiert, dass das Schlussresultat effektiv den eingegangenen Anrufen entspricht?

Sei’s denn! Brot und Spiele will das Volk - koste es, was es wolle. Und schliesslich ist Telefon Voting ja freiwillig.


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Christian Hunziker

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