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SACD
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Platinum
Schlussgedanke

aes logoAES 2002

Nachdem die letztjährige US-AES Convention (www.aes.org) die 111te, traditionsgemäss in New York, wegen der tragischen Umstände des 11. Septembers verschoben und im Dezember in kleinerem Rahmen durchgeführt worden war, schauten viele gespannt nach Los Angeles: Würde die 113. AES Convention im gewohnten Stil durchgeführt werden können, nach dem Motto: "Business as usual"?

Die Antwort war ein klares "nein", auch wenn es die Organisatoren nicht wahrhaben wollten. Die Ausstellung, ohnehin auf eine einzige Halle beschränkt, wirkte noch kleiner als bisher, und diverse Aussteller glänzten durch Abwesenheit. Mackie (www.mackie.com) beispielsweise hatte einen winzigen Stand, an dem gerade mal die neuste Version von Soundscape und das Baby-HUI vorgeführt wurden. Und da man sowieso Lautsprecher für die Demo benötigte, benützte man auch gleich die neuen, kleineren Studiomonitore, die HR 624.

m-audio standMotU (www.motu.com) hatte weder Stand noch Vorführraum, rührte jedoch mit ein bis zwei ganzseitigen Inseraten pro AES-Daily kräftig die Werbetrommel für ihre neuen HD192 High Definition Audio Interfaces, sowie die Mk3-Version des 2408. Steinberg (www.steinberg.de) war zwar präsent, beschränkte sich jedoch auf die Präsentation der neuen Nuendo-Möglichkeiten – Cubase SX wurde nicht mal erwähnt.

Ebenso mit Abwesenheit glänzte Emagic (www.emagic.de), und auch Apple (www.apple.com) hatte keinen Stand.

Im völligen Kontrast dazu verhielt sich M-Audio (www.m-audio.com) (der Name Midiman wurde mittlerweile aufgegeben und Midiman Produkte werden nun ebenfalls unter M-Audio angeboten), die ihre neuste und enorm erweiterte Produktepalette in einem imposanten Stand zeigten und auch beinahe pausenlos Livedemos durchführten.

Im üblichen Rahmen waren die meisten übrigen Hersteller vertreten: Digidesign, Sony, Tascam, Yamaha, Shure und natürlich die ganze Harman-Gruppe usw.

Zusätzlich zu den Ausstellflächen in der Halle hatten diverse Firmen auch wieder ihre Vorführräume. Vor allem Lautsprecher- und/oder Endstufenhersteller wie Genelec und QSC waren im Obergeschoss zu finden und konnten so auch ihre Produkte präsentieren, ohne auf Dezibellimiten achten zu müssen.

Die Besucherzahlen übers Wochenende – die Convention dauerte von Samstag bis Dienstag – waren im gewohnten Rahmen (also recht gut), doch am Dienstag hatte es – so schien es mir wenigstens – mehr Ausstellerpersonal als Besucher. Vielleicht hatte dies auch mit dem Wetter zu tun: Diverse Besucher aus Europa zogen einen warmen Sonnentag am Strand der klimatisierten Atmosphäre des Convention Centers vor.

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SACD

Mit grossem Gemeinschaftsaufwand in einem dieser separaten Vorführräume versuchten Sony (www.sony.com/sacd) und Philips die Messebesucher von der unvergleichlich besseren Audioqualität der SACD (Super Audio CD) zu überzeugen. Das Produkt sei nun reif für die grossflächige Vermarktung, auch sei genügend Hard- und Software verfügbar.

Ich besuchte die spezielle Pressevorführung, hoffte auf ein überzeugendes Erlebnis. Doch trotz des immensen Aufwandes, den Vorführraum in eine ideale Abhöre zu verwandeln, trotz der mannshohen Lautsprechertürme und dem ideal eingemessenen 5.1 Surroundsystem wurden meine Erwartungen nicht erfüllt. Einzig eine Gospelaufnahme, in einer Kirche mit 5 Mikrophonen direkt als Surroundaufnahme aufgezeichnet (die Solisten mussten über eine Treppe näher zum Mittenmikrophon gehen!) liess ansatzweise meine Nackenhaare kräuseln; bei allen übrigen Musikbeispielen (auch den neu restaurierten Rolling Stones Mastertapes) hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Es ist immer noch wichtiger, dass mich die dargebotene Musik erreicht und Emotionen auslöst, als dass sie "perfekt" aufgezeichnet wurde. Mir schmeckt nach wie vor ein frischgerösteter Maiskolben ab Lagerfeuer besser, als Genmaiskörner aus der Hitech-Gourmetküche.

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digi 002Neues

Wirkliche Neuheiten waren dünn gesät. Diverse Produkte waren schon an früheren Messen gezeigt worden, wurden jedoch trotzdem nochmals als Neuheiten präsentiert, sei es, weil sie nun wirklich lieferbar waren, oder weil die AES eine andere Besuchergruppe anspricht. Hier ein paar Highlights (Details erfahren Sie jeweils auf der entsprechenden Hersteller-Webseite):

Das Digi 002, erstmals an der Sommer NAMM in Nashville vorgestellt, sowie ProTools für OS X stiessen bei den Besuchern auf grosses Interesse und wurden am Digidesign Stand (www.digidesign.com) auch regelmässig vorgeführt.

Software-mässige Verbesserungen bei Tascam (www.tascam.de): Diverse Produkte wurden überarbeitet, was allerdings äusserlich nicht sichtbar wird. Am überraschendsten ist wohl die neue Softwareversion 2.01 für den digitalen Mixer DM-24 (in den USA für 3000 $ erhältlich): Neben 20 neuen Features im Audiomixingbereich lässt sich der DM-24 nun in einen HUI-Modus (= Human User Interface) umschalten, mit dem sich via MIDI Musiksoftware von Digidesign, MotU, Steinberg, Emagic u.a. steuern lässt (das nenne ich ein kreatives Update - und erst noch zum kostenlosen Download).

Fast hätte ich den winzigen Stand übersehen, an dem die Manifold Labs (www.plugzilla.com) Plugzilla zeigten, ein Rackkistchen, das VST-Plugins ohne Computer und ohne Hostsoftware ins Audiosignal einschlaufen lässt. Sozusagen alle VST 2.0 kompatiblen Plug-ins sollen benützbar sein, die vielen virtuellen Instrumente inklusive. Zwei unabhängige Prozessoren mit je Stereo Ein-und Ausgängen (sowohl analog XLR als auch SPDif) erlauben die unabhängige Benützung von zwei Plug-ins, die über Taster und Drehregler den Bedürfnissen angepasst werden können. Die Idee ist ausgezeichnet, die Ausführung überzeugte, nur beim Preis hatte ich etwas Mühe: Bei 3500 US$ drängen sich Vergleichfragen auf: Gäbe es für diesen Betrag nicht auch einen vollausgerüsteten Laptopcomputer, mit Bildschirm statt kleinen Displays. Doch für Liveeinsätze, bei denen Zuverlässigkeit und Robustheit gefragt sind, sicher eine lohnende Investition.bias soap

Eine weitere wirkliche Premiere gab's am Stand von BIAS (www.bias-inc.com): Der Hersteller von Peak (vergl. Testbericht) stellte "Soap" vor, ein VST Plug-in zur Restaurierung/Reinigung von Audio, sei es von LPs, Kassetten oder den Originalton von DV-(Video-) Aufnahmen. Der grosse Unterschied zu bestehenden Produkten ist vor allem die einfache Handhabung, die es auch Laien ermöglicht, Brumm und Rauschen auf einfachste Art zu entfernen. Die Audioseife ist bereits im Betastadium und soll in November lieferbar werden (Preis noch nicht bekannt).

An ihrem imposanten Stand zeigte M-Audio (www.m-audio.com) auch einige nicht minder imposante Neuigkeiten: Die grösseren Studiomonitore Studiophile BX8, das Radium USB MIDI Keyboard mit 61 Tasten, 8 Knöpfen und 8 Schiebereglern, sowie eine wirklich revolutionäre Software namens ArKaos (Windows 98/2000/Xp/Me sowie Mac 9 und X), mit der man audio-gesteuerte visuelle Effekte erzeugen kann. Diese können sowohl auf der Bühne als auch im Videobereich (Titel, Musikvideo usw.) eingesetzt werden. Ein Musicfarm-Test dieser Software ist bereits in Vorbereitung.

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Grammy Recording Soundtable

Die AES Convention ist ja in erster Linie für den Gedankenaustausch unter den Mitgliedern und die Weiterbildung gedacht. So sind denn auch die Seminarien (Sessions), die Workshops und die Special Events die Kernstücke jeder AES Convention und machen sie besuchenswert. Ich beschränkte mich auf zwei Special Events.

Bereits am Samstag Nachmittag fand der 14. Grammy Recording Soundtable statt, eine lockere Diskussion mit Brian Garten (Engineer für Neptunes, Nelly, Britney Spears usw.), Ken Jordan (Crystal Method), George Massenburg, Jack Joseph Puig (Engineer/Produzent für u.a. Rolling Stones, Sheryl Crow, No Doubt) , Elliot Scheiner und Al Schmitt. Moderiert wurde diese Gesprächsrunde von dem (hierzulande renommierten) Audio Journalisten Howard Massey.

grammy panel

Ich möchte mich auf einige wenige Diskussionspunkte beschränken, die ich für besonders interessant halte.

Grosse Unterschiede gibt es bei der Art wie aufgenommen/produziert wird: Während sich die Altstars der Recordingengineers Elliot Scheiner und Al Schmitt auf die altbewährten Methoden berufen (wirkliche Musiker auf echten Instrumenten mit guten Mikrofonen in guten Studios auf analogen Mehrkanal-Bandmaschinen aufgezeichnet), benötigen Brian Garten und vor allem Ken Jordan nur kleine Studios, wenige zusätzliche Musiker, dafür viel Technik und digitale HD-Recording Systeme.

Genau so weit auseinander klafften denn auch die Ansichten über die Qualitätsunterschiede von analogen und digitalen Aufzeichnungen: Al Schmitt berichtete von persönlichen Erfahrungen mit unbrauchbarem Digitaltransfer wärend der letzten Diana Krall Produktion: Der Qualitätsunterschied des digitalisierten Gesangspart zum analogen Original sei dermassen gross gewesen, dass er sich trotz allem dazu entschliessen musste, Diana für eine Gesangskorrektur nochmals ins Studio zu ordern.

Einig war man sich, dass in allen Musikgattungen wenn schon digital, dann nur im 24/96 Format gearbeitet werden sollte. Erst das fixfertige Produkt würde dann für die CD mit besten Wandlern auf 16/44.1 reduziert werden.

Die Diskussion ging dann weiter zu MP3 und unvertretbaren Qualitätsverlusten aller Kompressionsverfahren, bis Brian Garten mit einer Überraschung aufwartete: Er hatte aus der letzten Steely Dan Produktion (Two against Nature), bei der sowohl Elliot als auch Al beteiligt gewesen waren, das Stück Gaslighting Abbie auf MP3 (in iTunes 160 kbps) kopiert und in ProTools das Original und die MP3-Kopie zusammengeschnitten, abwechslungsweise CD und MP3. Er forderte die Runde auf zu sagen, wann MP3 und wann die Original-CD zu hören war; begonnen wurde mit dem Original.
Nach zwei Minuten intensivem Hören (und laut Brian 20 Schnitten) war es – zum allgemeinen Erstaunen aller Anwesenden - niemandem gelungen, eindeutig die MP3 Parts zu identifizieren.

Ein weiteres Thema waren die florierenden Audio Schulen: Auch hier waren sich die Anwesenden einig: Ausgezeichnet für eine technische Grundausbildung, jedoch absolut unzureichend was die Praxis angeht. Auch würden die Berufsaussichten zu rosig dargestellt, denn die Mherheit der Schulabsolventen würden keine passende Stelle finden, oder dann eben höchstens als Volontär. Und Volontäre würden, Ausbildung hin oder her, vor allem für alles "Unspektakuläre" eingesetzt. George Massenburg: "Abmischen ist für mich das grösste, der Nachtisch, die Belohnung so zu sagen für den ganzen vorangegangenen technischen Aufwand. Das will ich dann doch schon selber machen". Und schmunzelnd fürgte er hinzu: "Mixing ist das letzte, was ich einem Volontär abtreten würde!"

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Platinum Producers Panelplatinum guys

Wesentlich unspektakulärer ging es am Sonntag in der Diskussionsrunde der Platin Produzenten zu und her, bestimmt schon, weil man sich hier über die Arbeitsmethoden weitgehend einig war: Digitale Workstations (am häufigsten fiel der Name ProTools), eigene musikalische Mitwirkung und ausser dem Gesang das meiste aus dem Sampler.

Mike Elizondo (im Bild rechts) verglich seine Produktionen mit der Leinwand eines Malers: Man muss Stellen leer lassen, nicht alles dick überschmieren. Das sei der häufigste Fehler, der in heutigen Produktionen gemacht würde: Da man so viele Möglichkeiten hat, zusätzliche Klänge und Effekte einzubringen, fehlt der Mut zum Leerraum.

Und Ron Fair (links) brachte es auf den Punkt: Es ist nach wie vor der Song, der zählt. Je besser der Song, desto sparsamer kann die Instrumentierung sein.

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Schlussgedanke

Das Motto der diesjährigen AES war "Science in the Service of Art", also Wissenschaft im Dienst der Kunst. Als Idee hervorragend, doch irgendwie sah ich diesen Wahlspruch kaum irgendwo verwirklicht. Denn, auch wenn sich niemand direkt in dieser Richtung äusserte, wurde es in all den Aussagen und Diskussionen, sowohl in den Seminarien als auch in der Ausstellungshalle klar: Musik ist heutzutage ein Geschäft, und zwar ein hartes Geschäft. Das grosse Geld liegt im kurzlebigen Hit, der mit möglichst geringen Mitteln in möglichst kurzer Zeit produziert wird. Und dies zu erreichen helfen die digitalen Technologien, die es unter anderem ermöglichen, musikalische Fehler (menschliches Versagen?) auf die Schnelle zu reparieren und in kürzester Zeit virtuelle Klangwelten zu schaffen, die noch vor ein paar Jahren undenkbar oder nur mit einem riesigen Budget möglich gewesen wären.

Jedoch: Obschon sich die Analogie zum digitalen Bildeffekt aufdrängt (Beispiel "Lord of the Rings"), lässt sich das Gehör allem Anschein nach weniger leicht "betrügen".

Christian Hunziker

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