Totally unplugged!

Das Angebot an musikalischen Grossereignissen ist in und um Los Angeles gigantisch. In jeder Sparte, von E-Musik und Oper über Jazz, Pop, Rhythm 'n' Blues bis hin zu Rap und Trash, könnte man sich zwei- dreimal pro Woche ein Live Konzert reinziehen - zuviel des Guten, wie ich finde. Aber Business ist Business; und da hier drüben in erster Linie das Geld regiert (ehrlich: da ist die Mentalität in Europa noch heilig dagegen!), wird vermarktet, was es zu vermarkten gibt. Brot und Spiele! Und wenn das Brot nicht für alle reicht, dann halt mehr Spiele. Aber ich schweife ab.

Unerwartet erhalte ich einen Anruf eines Freundes: Am Lycée Français trete ein Schweizer Musiker auf, ein Michel Bühler. Er habe keine Ahnung, was es sei, aber falls wir wollten … Und ob wir wollten! Nicht dass ich Michel Bühler gekannt hätte, oder gar von Heimweh getrieben unbedingt einen Schweizer sehen und hören wollte. Es war einfache Neugierde.

Ich war noch nie im Lycée Français von Los Angeles, hatte allerdings schon viel davon gehört, von den gut betuchten Eltern, die es sich leisten konnten, ihren Kindern eine bessere Bildung zu ermöglichen, und erwartete deshalb eine eher luxuriöse Umgebung. Der Raum, in dem Michel Bühler auftreten sollte, war ein grösseres Schulzimmer, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte: Der Linoleumboden war abgewetzt, die Pavatexwände vergilbt - das ganze sah etwas ärmlich und heruntergewirtschaftet aus im Lichte der zwanzig Neonröhren. Etwa dreissig Personen waren der Einladung (mit der Empfehlung des Schweizer Konsuls höchst persönlich) gefolgt.

Pünktlich erschien er: Ein charmanter Herr, schwarzes Hemd, schwarze Jeans, eine alte Gibson-Gitarre in der Hand. 18 der 20 Neonröhren wurden ausgeschaltet.michel buehler Innert Sekunden gelang es dem Waadtländer - ohne Mikrofon, ohne Bühne, ohne Showgirls, ja sogar im leicht flackernden, bläulichen Licht zweier Neonröhren - mich die Umgebung vergessen zu lassen. Nach einer kurzen englischen Einleitung, in der er sich vergewisserte, dass die Mehrheit der Anwesenden Französisch verstand, reihte er Chanson an Chanson, verband die Inhalte der Lieder mit Anekdoten aus seinem Leben, seinen Erfahrungen. Sein Gitarrenspiel war nichts Sensationelles, aber es war ausgezeichnet und genau das, was es brauchte, um die verschiedenen Stimmungen seiner Chansons zu unterstreichen. Und wie dies bei Chansons so ist: die Texte wiegen schwerer als die Melodien. Und es waren hervorragende Texte, die das ganze Lebensspektrum abzudecken schienen; der Musik kam die wichtige Aufgabe zu, dass die Texte auch beim Publikum ankamen. Und dass sie angekommen waren, zeigte der begeisterte Applaus.

Nach rund einer (enorm kurzen) Stunde verabschiedete sich Michel Bühler. Seine Darbietung hinterliess bei mir jene Zufriedenheit, die man am besten mit einer Art Glücksgefühl vergleichen könnte. Und was mir vor allem die Seele einbalsamierte, war die Tatsache, dass es wieder mal ein Konzert war ohne Schnickschnack und Technik, ein Konzert, in dem nichts als Musik pur zu erleben war - ein Erlebnis, das heutzutage immer rarer zu werden scheint.

Christian Hunziker

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